Tidengewässer sind toll. Die Landschaft verändert sich stündlich, es gibt immer wieder Neues zu entdecken. An jedem Morgen sieht die Kulisse anders aus. Und wenn sich Wasser bewegt, entstehen Strömungen. Die kann man sich zunutze machen.
Durch die Anziehungskraft des Mondes entstehen Gezeitenkräfte, die die Wassermassen auf der Erde in Schwingung versetzen. Dadurch fällt und steigt auf beiden Seiten der Erde abhhängig vom Stand des Mondes der Wasserspiegel. Da der Mond täglich 50 Minuten später wieder am gleichen Punkt steht, beträgt die Periode von Flut zu Flut 12 Stunden und 25 Minuten. Die Sonne verstärkt oder vermindert die Höhe der Flutwelle, da die Anziehungskraft der Sonne immerhin noch 40% des Mondes beträgt. Sind Sonne und Mond auf einer Achse, gibt es Springtiden.
Segeln auf der Flutwelle
Hört sich abenteuerlich an, ist es aber nicht. Der Zeitpunkt des höchsten Wasserstandes ist eine wichtige Information, denn richtiger Planung vergrößert sich das erreichbare Tagesetmal erheblich. Mit der Flutwelle der Elbmündung erreichen wir Hamburg von Helgoland auch mit einem kleinen Kielschiff in einem Tag, manchmal in weniger als 10 Stunden. Je nachdem, in welche Richtung man segelt, ist verändert sich der Zeitpunkt des höchsten Wasserstandes. Auf den Kursen, auf denen es immer später flutet ist, kann man auf der Welle surfen. Beispiel Elbaufwärts: In Hamburg ca. 4 Stunden später Hochwasser als in Cuxhaven. Die Flutwelle, der höchste Wasserstand in einer Tidenperiode verlagert also in rund 4 Stunden um 55 Meilen. Sie haben 6 Stunden zusätzliche Zeit zwischen Ebbe und Flut. Mit 5,5 Knoten Strom über Grund schaffen Sie es mit einer Tide bis nach Hamburg. Sind Sie schneller als 13 Knoten, holen Sie auf die Flutwelle auf.
H2H-Challenge – mit der ASSO99 schneller als die Tide in der Elbmündung.
Der Tidenhub ist stark von den regionalen Besonderheiten abhängig. Die jeweilige Wassertiefe kann man sich anhand der 12er Regel ausrechnen. In der ersten Stunde läuft 1/12 Wasser auf. In der 2 Stunde 2/12 (insgesamt dann schon 3/12). In der 3. Stunde kommen 3/12 dazu, insgesamt ist die Hälfte schon aufgelaufen.
Die Berechung der Tiefe kann man sich sparen, wenn man einen Törnführer oder Hafenhandbuch der Region besorgt. In der Regel sind die Wasserstände der Wasserscheiden/Wattenhochs in Form einer Tabelle stündlich angegeben.
Achtung! Hochwasser ist nicht gleich Tidenkipp. Die Wassermassen, erst einmal in Schwung gekommen, laufen nach. Je tiefer und länger das Fahrwasser oder der Priel, desto stärker ist dieser Effekt. Vor Cuxhaven läuft die Tide im Hauptstrom noch bis zu 2 Stunden nach, während die Strömung seitlich am Fahrwasser oder in den Nebenfahrwassern schon in die umgekehrte Richtung läuft. Strömungsrichtung und Zeit sind kein großes Geheimnis, dafür gibt es den amtlichen Stromatlas der Deutschen Bucht vom BSH und viele hervorragende Nordseehandbücher!
Ein bisschen Vorsicht ist bei den Tiefenangaben in den Seekarten (Seekartnennull, SKN) geboten. Während in den deutschen Seekarten das mittlere Niedrigwasser der Mittelwert der örtlichen Springniedrigwasser ist, wird in Grossbrittannien das niedrigste astronomisch mögliche Niedrigwasser (LAT Lowest Astronomical Tide) genommen. Das kann bei britischen Karten bis zu 0,5m weniger Wasser, bzw. 0,5m mehr Sicherheit bedeuten. In Gebieten ohne Tidenhub ist das Seekartennull gleich dem mittleren Wasserstand. In elektronischen Karten kann es zu Wechseln der Bemessungsgrundlage kommen, wenn man die Landesgrenzen passiert.
Erheblichen Einfluss auf die Tiefe hat auch die Windrichtung. Winde vom Festland treiben das Wasser aus den Watten. Auch der Luftdruck beeinflusst den aktuellen Wasserstand.
Von Gatten, Barren und Bänken
Wenn der Sturm auf der Nordsee meterhohe Wogen türmt, sind die Wattenfahrwasser eine geschützte und wunderschöne Alternative. Hier kann man noch segeln oder die Gegend erkunden. Hat man erst den Zugang passiert, segelt es sich geschützt, die Nordseewellen brechen sich an den vorgelagerten Sänden. Und dann beginnt eine Idylle. Fischreiher, Seehunde, Komorane, Krebse, Krabben. Alles um Greifen nahe. Denn das Wattenmeer ist größtenteils Naturschutzgebiet. Zum Glück liegen die bezeichneten Fahrwasser außerhalb des Nationalparks Wattenmeer.
Ganz toll sind bei Ebbe die vielen Wasserlöcher im Sand. Einige sind richtig tief, die meisten aber flach. Und herrlich warm, denn wenn die Sonne scheint, wird das Wasser brühwarm. Die Löcher sind voller Krebse und Krabben oder enthalten sogar kleine Schollen. Ein Traum für Kinder und jung gebliebene Eltern.
Einen Haken hat das Revier: Der Teil des Kopfes, der im Urlaub zur Ruhe kommen will, den muss man intensiver nutzen als in anderen Revieren. Das Gehirn. Ich finde das gut, das hilft aktiv abzuschalten. Doch wenige andere denken wohl so, eine andere Ursache gibt es eigentlich nicht dafür, dass eines der schönsten Reviere Deutschlands gleichzeitig eines der Einsamsten ist.
Denken und seinen Tagesplan anpassen – das fordert die Tide.
Tidengewässer haben immer zwei Strömungs-Richtungen: davon ist nützlich und eine bremst. Eine hebt einen hoch und die andere senkt einen ab. Wenn man neue Wege erkundet, empfiehlt es sich also, die Tide so zu wählen, dass diese einen anhebt, wenn man aufläuft. Was kann dann schon passieren, außer einigen Minuten Zeitverlust? In den deutschen Watten steigt der Grund selten steil an und besteht fast immer aus Sand oder weicheren Materialien. Und der Strom hilft schell voranzukommen – wenn das Timing stimmt.
Ein anderer Schnack sind allerdings die Seegatten der ostfriesischen Inseln. Die Seegatten nennt man die Fahrwassser, die zwischen den Wattenmeer-Inseln auf die offene See führen. Diese Seegatten, aber auch die anderen Einfahrten in Flussmündungen und Priele sind die navigatorisch gefährlichsten Herausforderungen in den Wattenrevieren. Grund sind die Barren in den Einfahrten, hier steigt die Wassertiefe von der offenen See zur Barre extrem schnell an. Die im ausströmenden Wasser vorhandenen Schwebeteilchen lagern sich in der Mündung ab, und bauen eine Unterwasseer-Sandbank – die „Barre” – auf, an deren Seeseite die Tiefe schnell geringer wird. Rollen nun die langen Nordseewellen an diesen Unterwassersperren im Fahrwasser auf, werden diese hoch und brechen. Steht dazu noch Wind gegen Strom, entsteht schon bei 5 Beaufort eine gefährliche See, die die Einfahrt unpassierbar machen kann. In einigen Bereichen werden die brechenden Seen auch ohne Wind über 2m hoch, wenn starke Strömung auf eine entsprechende lange Dünung triff. Auch wenn die Strömungen vor den Ansteuerungstonnen nur bis einen Knoten stark ist, in den Gatten wächst die gerne auf 2 Knoten ein- und bis 3 Knoten auslaufend.
Die Flussmündungen der Elbe, Weser und Jade können es ebenfalls in sich haben. Die nordfriesischen Seegatten sind bei mittleren Windstärken mit der Tide einlaufend bei westlichen Winden kein großes Problem. Allerdings steht an den Außenbarren der Nordfriesischen Inseln gerne bei alter Südwest-Dünung eine riesige See. Diese Barren sollte man möglichst bei Stauwasser oder wenn der Wind in Richtung der Strömung weht passieren.
Vor allem im Nordfriesischem Watt gibt es vor den Inseln und der Küste ausgedehnte Sandbänke. Einige bleiben auch bei Hochwasser trocken, z.B. Hörnumknobs-Theeknobs. Diese Sände sind bei Ostwind oder flauen Winden eine traumhaft schöne Gegend. Doch Hörnumknobs-Theeknobs u. Jungnamensand verwandeln sich bei stark auflandigem Wind in die berüchtigten nordfriesischen Hexenkessel. Die Suppe darin war bis vor nicht allzu langer Zeit eine wichtige Einnahmequelle für die Inselbewohner: In den Aufzeichnungen der Amrumer Strandvögte finden sich weit über 400 ausführlich beschriebene Strandungsfälle.
Die Wracks auf den Sänden zeugen davon. An der Spitze von Norderney, auf dem Vogelsand in der Elbe, oder am Rütergat vor Amrum kann man sich davon überzeugen.
Bäume im Watt
Will man in die Watten, dann geht der sichere Weg immer über die Ansteuerungstonnen und mit der Tide. Die Wassertiefe erkennt man ohne Lot im Voraus an der Wasserfarbe und hauptsächlich am Verlauf der Brandungskanten. Je Tiefer, desto Dunkler die Wasserfarbe im hellen Sonnenlicht. Die Ufer der flacheren Wattenfahrwasser säumen Alleen kleiner Bäumchen, die Pricken.
Damit die Pricken nicht zu lang sein müssen, stehen sie meistens 5-10m ab vom Fahrwasser. In der Außenkurve kann man näher an die Besenstiele als in der Innenkurve.
Backbord-Pricken sehen auf wie Hexenbesen, man nennt sie deshalb auch Besenpricken. Sie haben für die Nacht einen roten, fluoreszierenden Reflektorstreifen, der nachts mit durch das Anstrahlen mit einer Taschenlampe gut sichtbar ist.
Bei Steuerbord-Pricken ist der Besen umgekehrt, sie sind oben spitz. Die Ansteuerung, bzw. die Einfahrt eines Prickenweges ist in der Regel mit einer Doppelpricke oder mit 5-8 Pricken mit einen eingebundenem Korb gekennzeichnet.
In der Außenkurve eines Priels ist die Kante steil, die Strömung stärker. Mit viel Tiefgang sollte man sich immer an der Außenkurve halten. Achtung: Priele sind nicht immer in der Mitte am tiefsten. Gerade in größeren Prielen, und bei Strecken, die länger gerade verlaufen, bildet sich regelmäßig ein Mittelsand, der bei halber Tide schon trockenfallen kann. Wenn ein Priel viele Kurven macht, hat er meistens weniger Strömung und ist auch weniger tief, dazu sind die Uferkanten flacher.
Fischgräten aus Sand
Die Rücken der Sandbänke verlaufen oft in einem relativ gleichmäßigen Muster, geprägt durch die Tidenströmung. Der Sand wird abgetragen und später wieder angelagert. Da das ablaufende Wasser mehr Sand trägt, prägt die ablaufende Tide fast immer die Muster. Ein Muster taucht häufig auf: Sandbänke, angeordnet wir Fischgräten. Die Gräten gibt es in vielen Variationen, geprägt durch die unterschiedlichen Land- und Strömungsformen. Trotzdem erhöht das Wissen über diese Muster die Chance zur Befreiung nach einem Auflaufen: Den Befreiungsweg sollte man in 45 Grad zum Fahrwasser suchen, wobei die vermutete Fischgräte sich in Richtung des auflaufenden Wassers dem Fahrwasser nähert. Ein hartes Aufsetzen ist ein Indiz für Sand und steile Kanten, und für ein solches Muster.
Hinter jeder Watteninsel gibt es eine Wasserscheide, das ist die Grenze, an der sich das um die Insel auflaufende Wasser triff. Diese Stelle hat die geringste Strömung und Tiefe. Für den Wanderer zu Fuss ist das die Stelle, an der er bei Ebbe das Festland oder die nächste Insel erreichen kann. Für den Segler ist es die Stelle, nach der er die Zeitplanung seines Törn ausrichten muss. An der Wasserscheide muss man mit auflaufend Wasser ankommen. Sollte es zu flach sein, kommt man nach kurzer Zeit wieder frei.
Spannend wird es, wenn man zwei Wattenhochs auf seiner Route hat. Dann wird je nach Tiefgang die Zeit knapp, um bei auflaufend Wasser beide Hochs zu passieren.
Bei den Wattenhochs gibt es die höchsten Sände im Watt. Vorsicht, wenn man hier bei Springhochwasser aufläuft, dann kann es bis zur nächsten Mondphase dauern, bis man ohne Hilfe wieder freikommen kann.
Eine Regel, die man kennen sollte: In den ersten 6 Monaten eines Jahres läuft das abendliche HW höher auf, in der zweiten Jahreshälfte tiefer.
Das einzige Beständige ist die Veränderung
Je mehr Strömung, desto schneller verändern sich die Fahrwasser im Watt. Starke Stürme können in wenigen Tagen ebenfalls erhebliche Veränderungen verursachen. Daher merke: Traue keiner Karte im Watt. Die örtlichen Segler und Fischer sind in der Regel sehr hilfsbereit und geben gerne ausführlich Auskunft. Tipp: Trotzdem immer fragen, wann sie zuletzt die Route selbst befahren haben.
14 Seemeilen pro Stunde – bei 5 Knoten Fahrt.
Die Strömungsgeschwindigkeiten im Kanal an der englischen und französischen Küste können erheblich höher sein als in den deutschen Gewässern. 13 Meter Tidenhub in der Bretagne bei St. Malo produzieren bis zu 9 Knoten Strom. Da kann es schon mal vorkommen, dass man trotz schneller Fahrt durchs Wasser rückfährts fährt. In den Durchfahrten zwischen Inseln oder vor Kaps steht erstaunlich starker Strom, der meist nicht gleichzeitig mit dem Hochwasser seine Richtung ändert. Ohne Strömungsatlas ist man hier aufgeschmissen. Auch hier gilt: Wind gegen Strom produziert eine gefährliche, brechende Welle. Einige Stunden später kann das Wasser dagegen flach sein wie ein Ententeich.
Auffallend ist die Freundlichkeit und vor allem Hilfsbereitschaft der örtlichen Segler in den Tidenrevieren. Erlebt man es auf der Ostsee regelmäßig, dass Kollegen einfach vorbeifahren, wenn man mit der Schleppleine winkt, beobachtet hier jeder die anderen und fragt lieber einmal mehr, ob er helfen kann. Das anspruchsvolle Revier lehrt Demut – eine weitere gute Erfahrung.
Die 7 goldenen Tidenregeln
- Hoch und Niedrigwasserstände in allen Teilen der Route berücksichtigen, Kontrollzeiten ausrechnen
- Windabhängige Wasserstände berücksichtigen
- Wind gegen Strom meiden - flache Bereiche, vor allem Wattenhochs, immer mit auflaufend Wasser befahren
- Seekarten und Handbücher müssen aktuell sein, die vom Vorjahr sind zu alt
- regionale Informationen einholen – die Fahrwasser verändern sich schnell
- Planen Sie eine Reserve von 50cm Wassertiefe unter dem Kiel ein.
Wattarten
Sand
Sand ist hart. Ideal zum Trockenfallen und für Wattspaziergänge. Weniger ideal zum unbeabsichtigten Auflaufen, denn das Freikommen wird schwer. Sand findet sich in den Bereichen mit viel Strömung und klarerem Wasser. Die Seeseiten der Watteninseln haben herrliche, ausgedehnte Sandstrände.
Schlick
Die feineren Schwebeteilen sammeln sich in allen Bereichen mit wenig Strömung: Innenkurven an Prielen, Senken zwischen den Sänden, in Bildprielen, in den Zentren von Strömungswirbeln, in der Nähe der Wasserscheide. Schlick kann meterdick sein oder nur eine feine Schickt auf dem Sand, das der man herrlich Schlickrutschen kann.
Klei
Bei Klei-Watt ist der Grund sehr weich, wenn man aufläuft, kommt man meisten mit mehr Motorleistung achteraus wieder frei. Die Außenkurven der Priele steiler, weil die weiche Klei schnell abgetragen wird. Als Ankergrund ist die Klei nicht besonders verlässlich. Dafür stinkt sie. Weil sie lebt. Klei ist voller Micro-Organismen, Wasserpflanzen, Würmer, etc. In der Klei sackt man tief ein und nimmt den leckeren Geruch dauerhaft an. Getreu dem dem Motto: „Was nicht gut schmeckt, hilft gut“ verkaufen die Kurhäuser die stinkende Masse teuer an die Gesundheits-Touristen.
Ankern
Wirklich sicher Ankern kann man im Watt nur mit 2 Ankern. Wenn der Strom kentern – sich die Strömungsrichtung ändert – bricht durch die um 180 Grad geänderte Zugrichtung ein Anger immer aus, und man kann unkontrolliert viele Meter treiben, bis der Anker wieder fasst. Setzt sich der Anker auf seiner Fahrt zu, z.B. mit Seetang, oder wickelt sich um seine eigene Ankerleine, dann findet die Fahrt kein kontrolliertes Ende. Abhilfe schafft ein zweiter Anker: Dazu lässt man mindestens doppelt so viel Ankerleine aus, und lässt dann den Zweitanker fallen. Danach holt man die Leine des ersten Ankers bis etwa zur Hälfte ein. Jetzt verbindet man die beiden Ankerleinen und senkt die Verbindung mit einem Reitgewicht so weit ab, dass der Kiel frei um die Ankerleinen schwojen kann.
Anlegen
Fenderbrett und lange Leinen gehören zur Ausrüstung eines Tidenseglers. Viele Häfen haben keine Schwimmstege, man muss an Spundwänden oder Dalben festmachen. Durch die veränderliche Wasserstände kann man sein Boot nicht so fest fixieren. Fender rutschen gerne hoch oder zur Seite. Abhilfe schafft ein langes Brett von Außen gegen die Fender gebunden. So schaffen Sie eine breite Auflagefläche, und das harte Brett rutscht mit der Tide hoch und runter auf den rauen Wänden - besser als ein Fender. Lange Leinen gleichen den Tidenhub aus.
Trockenfallen
Frei im Watt trocken zu fallen ist eines der schönsten Dinge, die man als Segler tun kann. Mit einem Kimmkieler, Jollenkreuzer, und Hubkieler ist das einfach. Mit einem Kielschiff wird das schwieriger. Doch es geht. Die Engländer und Franzosen haben Kielschiffe in Bojen am Häfen, die jede Tide unbeaufsichtigt trockenfallen. Es geht also problemlos – wenn man weiß wie – und der Untergrund geeignet ist. Dazu lotet man den Grund aus, erst mit dem Echolot, denn der Grund sollte nicht zu steil sein. Mit dem Bootshaken kontrolliert man danach die Beschaffenheit des Grundes. Der sollte nicht auf einer Seite fest, und auf der anderen weich sein. Am verlässlichsten ist Sandgrund. Am bequemsten ist tiefer Schlick, da sackt ein Kielschiff einfach ein und bleibt stehen. Aber auch mit einem Kielschiff kann man trockenfallen. Man braucht dazu Wattstützen. Ein Langkieler steht sicher auf seinem Kiel, und kann nicht nach vorne und hinten kippen. Da bringt man zu jeder Seite die Stütze aus, und kann in Ruhe abwarten. Komplizierter wird es beim Kurzkieler. Hier braucht man vorne und hinten Stützen. Hat man nur 2 Streben, muss das Boot während des Ablaufens des Wassers zu der Seite mit den Stützen gekrängt werden, damit es sich dagegen lehnt. Notfalls geht als Wattstütze auch der Spibaum und der Großbaum. Dazu knotet man an das untere Ende 2 Leinen, damit die Spitze in Längsrichtung fixiert werden kann. Zwischen dem oberen Ende und dem Boot kommt eine Talje oder ein Knebel, so dass man die Höhe einstellen kann. Zwischen der Stütze und dem Boot gehört ein Fender.
Unbeabsichtigtes Auflaufen
Bei ablaufendem Wasser arbeitet die Zeit gegen Einen. Dann heißt es schnell einen Plan machen. Als erstes natürlich jede Art von Vortrieb reduzieren: Bug in den Wind drehen, Motor aus oder rückwärts. Wenn man rückwärts nicht freikommt, mit einem Bootshaken prüfen, auf welcher Seite des Bootes der Grund tiefer wird. Am schnellsten kommt man frei, wenn man das Boot krängt. Wenn der Wind in Richtung des tieferen Wassers weht, kann man einfach die Fock backhalten. Ansonsten hilft Gewichtsverlagerung, am effektivsten geht das, wenn man sich mit dem Großbaum außenbords fiert.
Freischleppen mit fremder Hilfe. Mein Tipp: nehmen Sie zum Freischleppen das Spifall. Das ist so ausgelegt, dass der Spi das Boot flach auf Wasser legen kann. Die Belastung beim Freischleppen ist nicht größer. Sind Sie sich unsicher, ob Ihr Fall das hält, fragen Sie bei der Werft oder dem Konstrukteur.
Wichtig ist, dass der Helfer etwa 90 Grad zur Mittschiffslinie, also seitlich zieht. Das Boot wird gekrängt, der Tiefgang verringert sich, und Sie kommen ohne große Belastung – schonend für Kiel und Klampen – spielend einfach frei. Die Methode funktioniert auch perfekt mit einem Anker, den man mit einem Beiboot – oder zu Fuss – weit vom Boot ausbringt. So weit, dass der Winkel zum Mast flach genug ist, damit der Anker nicht ausbricht.
Mit ca. 45 Grad Kursabweichung zum Hauptstrom kommt man in der Regel wieder frei.
Wenn man nicht freikommt, dann ist es wichtig, dass das Boot zur höheren Seite des Grundes in kippt. Das erreichen Sie am sichersten auch durch das Ausbringen eines Ankers. Die Ankerleine verbinden Sie mit einem Fall, und sorgen so dafür, dass das Boot zur richtigen Seite hin krängt.
Der ideale Wattenkreuzer
Segeln kann man mit fast allen Booten in Tidengewässern – bis man aufläuft oder anlegen muss. Je flacher das Boot geht, desto größer wird das befahrbare Revier. Rauhe Tidenreviere wie der Kanal und oder die friesischen Seegatten erfordern eine hohe Seetüchtigkeit.
Auch die Form des Unterwasserschiffs kann den Umgang mit den Revier vereinfachen: Mit platten Unterwasserschiff, Kimmkielen, Kielschwert oder Doppelrümpfen kann man ohne viel Aufwand einfach trockenfallen.. Im geschützten Wattenrevieren werden navigatorische Fehler nur mit Zeit- nicht mit Schiffsverlust bestraft.
Perfekte Boote für das Wattenmeer sind Jollenkreuzer und Plattbodenschiffe. Plattbodenschiffe segeln besser als Ihr Ruf, sie haben sich über viele Jahrhunderte entwickelt, um die Gewässer wie die tidenabhängigen Reviere der Nordsee zu befahren: das Wattenmeeres, die ehemalige Zuiderzee (das heute eingedeichte IJsselmeer) optimal, d.h. revierangepaßt unter Segel zu befahren. Einige Typen, z.B. die mit Palingaaken, sind sehr seetüchtig, denn die Holländer haben über Jahrhundert lang ihren Fisch von der Zuiderzee nach London transportiert.
Vor allem in England sind die Kimmkieler sehr beliebt. In den Buchten und Flussmündungen lassen sich diese Schiffe problemlos an eine Boje legen, und fallen bei Niedrigwasser einfach trocken. Ein preiswerter Liegerplatz für viele segelverrückte Briten.
Mit 60 cm Tiefgang kommt man über alle Wattenhochs in jeden kleinen Hafen, Querfeldein-Segeln erschließt traumhaft schöne Stellen. Bis 1,2 Meter überquert man mit sorgfältiger Planung noch nahezu jedes Wattenhoch. Nur bei langen Ostwindlagen sind einige Wasserscheiden nicht mehr passierbar. Bis 1,6 Meter sind die meisten Prickenwege passierbar, allerdings mit genauer Planung. Boote über 2m Tiefgang sind streng ans betonnte Fahrwasser gebunden, Wattenfahrt wird ein Abenteuer.
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